Eine neue Offenheit

Ich habe am Montag-Nachmittag aus verschiedenen Quellen den Arbeitsstand für den Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD mit Stand Sonntagabend 24.11., 20 Uhr zugespielt bekommen. Zeitgleich gingen immer mehr Meldungen über die Nachrichtenseiten, dass einzelne Redaktionen auch diesen Entwurf vorliegen hatten, jeder anscheinend ganz exklusiv und aus ganz vertraulichen Quellen. Als mir bewusst wurde, dass dieser Arbeitsstand so breit gestreut wurde, vergingen auch meine Zweifel ob ich diese Veröffentlichung vornehmen sollte. Stefan Niggemeier hat nach meiner Veröffentlichung des Arbeitsstands des Koalitionsvertrags entsprechende richtige Punkte dazu gebloggt, insbesondere wie JournalistInnen damit umgehen und sich damit auch präsentieren. Dokumente sind manchmal im Arbeitsmodus, dann sind sie noch nicht für die Öffentlichkeit bestimmt.

Bei den Koalitionsverhandlungen von CDU, CSU und SPD war von Anfang an die Durchstecherei an Journalisten, befreundete Gruppen oder auch Wirtschaftsverbände tagtägliche Praxis. Kleinste Arbeitsgruppenergebnisse wurden weitergeleitet, nach meinen Informationen aus allen Parteien und Fraktionen. Darum wollte ich allen Menschen die Möglichkeit geben sich selber einen Eindruck zu verschaffen, die Forderungen einzuordnen und nicht nur auf die Häppchen zu warten die in einzelnen Zeitungen stehen. Im Vergleich zur Schlussfassung kann man sehen, dass zwischen Sonntagabend und Mittwochmorgen noch fleißig daran gearbeitet wurde; es wurden Kompromisse geschmiedet es wurden Forderungen abgeschwächt oder ganz gestrichen. Das Interesse war enorm. Der Arbeitsstand des Koalitionsvertrags den ich Montagabend auf unser Gruppen-Blog www.gruen-digital.de eingestellt habe, wurde zwischen Montag 19 Uhr und Mittwoch 6 Uhr morgens, über 528.000 Mal heruntergeladen. Fast alle Nachrichtenseiten haben auf diese Vertragsfassung verlinkt, wenn auch nicht immer mit Angabe der Quelle im Text selber. Von Politikverdrossenheit kann also keine Rede sein, wenn sich so viele Bürgerinnen und Bürger ein 177-Seiten Dokument herunterladen.

Viel spannender finde ich aber die Folge der Veröffentlichung. Es hat mich überrascht (und natürlich auch gefreut), dass diese von allen Seiten – von taz bis Welt – positiv bewertet wurde, und Nachrichtendienste wie auch die DPA eigene Meldungen dazu verfasst haben. Wirklich erfreulich fand ich aber den Bewusstseinswandel, der durch die Veröffentlichung und die Debatte um die Praxis des Umgangs mit solchen Texten losgetreten wurde. So veröffentlichten mehrere Medien dann von selbst den 3. Entwurf des Koalitionsvertrags und stellten ihn zum Download bereit, als erste war Zeit Online dran, es folgten heute.de, SpiegelOnline und andere. Die finale Fassung des Koalitionsvertrags am Mittwoch wurde dann als erstes vom Handelsblatt online gestellt, aber auch hier folgten mehrere Medien im Anschluss. Ich hoffe dieser neue Umgang mit solchen Dokumenten bleibt bestehen. Journalistische Arbeit des Einordnens, Kommentierens und Erklärens ist verdammt wichtig. Die Möglichkeit, gerade online, aber auch Originaldokumente bereitzustellen, sollte immer (öfters) genutzt werden, es macht den Nutzer/Leser mündiger, sich selber mit Quellen zu beschäftigen und Inhalte auch selber einzuordnen. Dass wir hier noch am Anfang eines Prozesses stehen ist auch daran erkennbar, dass viele Journalisten die Dokumente direkt online stellen, ohne die Metadaten aus dem Dokument, wie bspw. den Autor zu entfernen. Quellenschutz sollte auch beim leaken gelten.

 

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