Die Vernunft hat Einzug gehalten – zum ersten Bericht der Bundesregierung „Löschen statt Sperren“

Vor fünf Jahren erlebte Deutschland seine erste große netzpolitische Diskussion. Nach den Massenprotesten für mehr Datenschutz und gegen die Vorratsdatenspeicherung in den Jahren 2007 und 2008 ging es im November 2008 los, als die damalige Familienministerin Ursula von der Leyen ihre Überlegungen zu Internetsperren vorstellte als Maßnahme gegen die Verbreitung von Kinderpornographie. Statt Kinderpornographie müsste es korrekterweise Darstellungen sexuellen Missbrauchs von Kindern heißen.

Zuerst wollte Frau von der Leyen ihre Vision von Stoppschildern im Internet per Vertrag mit den größten deutschen Internetzugangsanbietern in die Realität umsetzen. Doch nach gravierenden rechtlichen Bedenken, deutlicher politischer Kritik und dem Wunsch der Internetzugangsanbieter nach Rechtssicherheit, musste von der Leyen auf den gesetzgeberischen Weg umschwenken. Im April wurden dann Vertrag und Gesetzentwurf vorgelegt. Die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD hat aller Kritik und Proteste zum Trotz, das Gesetz dann kurz vor der Bundestagswahl verabschiedet.

Die Debatte (Eine umfassende Presseschau gibt’s beim Presseschauer als PDF.) wurde hart und hochemotional geführt. Als Kritiker der Regierungspläne wurde man schnell beschimpft, man würde diese Straftaten hinnehmen oder sogar schützen wollen.

Am Ende siegte die Vernunft. Eine sehr erfolgreiche Online-Petition von Franziska Heine mit über 134.000 Unterschriften gegen die Internetsperren, aber auch der Widerstand der FDP in der Regierungszeit ab 2009, der Protest der Opposition und die laute Zivilgesellschaft hat verhindert, dass es zu einer Umsetzung der Stoppschilder gekommen ist.

So wurde bis heute der Aufbau einer umfassenden Infrastruktur zur Sperrung von Internetseiten in Deutschland verhindert. Eine Struktur, die hier in Deutschland gerne in anderen Ländern wie der Türkei kritisiert wird, und die in anderen europäischen Ländern immer wieder zu Anwendungsfehlern führt, weil mehr Inhalte als geplant gesperrt werden und das Missbrauchspotential enorm ist. Im Herbst 2011 wurde das sogenannte Zugangserschwerungsgesetz aufgehoben und das Prinzip „Löschen statt Sperren“ verankert.

Die Folge waren Vereinbarungen für mehr Zusammenarbeit zwischen Bundeskriminalamt, Internetwirtschaft und Jugendschutzeinrichtungen, um strafbare Inhalte nach §184 b StGB schnellstmöglich zu löschen. Und es wurde ein internationaler Ansatz anstatt eines nationalen Alleingangs gewählt.

Das Bundeskabinett wird morgen den ersten Bericht zur Umsetzung des Ansatzes „Löschen statt Sperren“ verabschieden und ihn anschließend dem Bundestag und Bundesrat zur Beratung übergeben. Ich konnte einen Blick auf den Bericht werfen. Die bereits medial kolportieren Zahlen stimmen. Dieser Bericht beweist, dass all die Menschen, die im Frühjahr und Sommer 2009 auf die Straße gingen und die Online-Petition unterschrieben, Recht behalten haben. Sperren sind nutzlos. Löschen ist der richtige und erfolgversprechendste Ansatz, um die Verbreitung von Darstellungen sexuellen Missbrauchs von Kindern im Internet einzudämmen. Und darüber hinaus ist es weitaus wichtiger, den weltweiten Kampf gegen Kindesmissbrauch zu stärken, damit solche Videos und Bilder erst gar nicht mehr entstehen.

Der Bericht zeigt auch die Abläufe und Verfahren die eingesetzt werden. In der Regel gehen Meldungen bei Beschwerdestellen ein und diese reichen sie dann nach kurzer Prüfung an das BKA weiter. Zudem erhält das BKA durch nationale und internationale Polizeistellen und in ganz wenigen Fällen durch Privatpersonen und NGOs auch direkt eine Meldung. Die Meldungen werden dann unterteilt in die Rubriken Download, Forum, Webpage (Unterseiten/subdomains), Website, Weiterleiter oder auch Video, Bild, Linkliste und Profil.

Der Bericht erwähnt zudem, dass in sehr wenigen Fällen eine Weiterleitung an ausländische Stellen auf Grund rechtlicher und politischer Gegebenheiten nicht möglich ist, weil in Ländern wie Kuwait, Mauretanien oder Lesotho die Todesstrafe für Sexualdelikte verhängt werden kann.

Ein Fall ist dabei nicht ein Inhalt, also ein einzelnes Foto oder Video was gelöscht wird, sondern es geht immer um den größtmöglichen Container mit Inhalten, also die gesamte Domain oder Subdomain unter denen dann entsprechende Inhalte verfügbar sind.

Auch die kurze Bearbeitungszeit der Fälle und die hohe Löschquote von im Inland 98% innerhalb einer Woche zeigen, dass der Ansatz Löschen statt Sperren funktioniert. Zudem ist nun endlich widerlegt, dass das Hosten der zu löschenden Daten im Ausland eine Hürde sei, weil es in diesen Ländern keine rechtsstaatlichen Grundsätze gäbe. Darüber hinaus betrafen entgegen der damaligen Behauptungen fast ein Viertel der Fälle in Deutschland gehostete Inhalte.

Ich finde, dass es an der Zeit ist, noch einmal Danke zu sagen. Danke all denen Menschen und Organisationen, die 2009 die Proteste angestoßen und organisiert haben. Danke dem Arbeitskreis Zensur, der sich gebildet hat, um die Debatten sachlich zu untermauern. Danke den Menschen, die diese Arbeit in den Beschwerdestellen und beim BKA, die mit Sicherheit nicht einfach ist, machen. Und Danke den tausenden Menschen, die an den Aktionen und Petitionen teilgenommen haben.

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  1. Dominik Boecker

    „Danke den Menschen, die diese Arbeit in den Beschwerdestellen und beim BKA, die mit Sicherheit nicht einfach ist, machen.“

    Deren Job ist – glaube ich – psychisch enorm belastend, sodass diesen Menschen in der Tat nicht genug gedankt werden kann!