Elektronische Filter sind der Grundrechtseingriff – Die Irreführung des H. P. Friedrich

In der aktuellen Ausgabe vom SPIEGEL (Nr. 35/2013) ist ein Interview mit Bundesinnenminister Friedrich zum Überwachungsskandal abgedruckt. Der Grundtenor des Interviews lässt sich so zusammenfassen: Die besorgten Menschen übertreiben, die Amerikaner haben mir versichert, dass alles okay sei, und ich glaube ihnen, daher sollten wir uns hier auch nicht so aufregen. Letztendlich käme die wirkliche Bedrohung von Google und Facebook. Er verweist dabei noch einmal auf angeblich falsche Fakten und versucht in den Zwischentönen den Guardian als nicht glaubwürdiges Medium darzustellen, indem er Worte benutzt wie „Ungereimtheiten“ oder „fragwürdig“ im Zusammenhang mit der Arbeit der britischen Zeitung.

Mahnungen oder gar kritische Worte zu den Einschränkungen der Pressefreiheit durch die erzwungene Zerstörung von Festplatten oder das Festsetzen von Journalisten unter Inbezugnahme von Anti-Terror Gesetzen kommen ihm nicht über die Lippen. Das wäre vermutlich von einem Verfassungsminister, der die Sicherheit zum Supergrundrecht erklärt hat, wohl auch zu viel verlangt.

Und entgegen jeder Vermutung weiß Friedrich genau, in welcher Form die Überwachung stattfindet. Er scheint diese nur völlig in Ordnung zu finden und scheint darin auch keinen nennenswerten Grundrechtseingriff zu sehen, wie in dem Interview nachzulesen ist:

SPIEGEL: Empfinden Sie es als zumutbar, wenn Bürger davon ausgehen müssen, dass ihre Telefongespräche abgehört und ihre E-Mails mitgelesen werden?

Friedrich: Die Bürger können grundsätzlich davon ausgehen, dass ihre Telefongespräche, jedenfalls von westlichen Nachrichtendiensten, nicht abgehört werden. Aber noch mal: Es ist auch anderen, etwa kriminellen Organisationen technisch möglich, Telefonate mitzuhören, E-Mails mitzulesen. Man muss also etwas zusätzlich tun, wenn man sicher kommunizieren möchte, etwa Verschlüsselungstechniken nutzen. Das ist ähnlich wie bei einer Postkarte aus dem Urlaub. Da weiß jeder, dass sie von anderen gelesen werden kann. Briefe sind sicherer.

Genau gelesen geht Friedrich weder auf die Frage der Überwachung von Telefonaten noch E-Mails ein. Der Verweis auf Spähaktionen aus dem Bereich organisierter Kriminalität ist richtig, legitimiert aber nicht die massiven Ausspähungen durch die Geheimdienste. Und nur am Rande gesagt wiederholt er die Bankrotterklärung der schwarz-gelben Bundesregierung, wenn er erneut die Verantwortung den NutzerInnen überträgt, ihre Kommunikation zu verschlüsseln. Digitale Selbstverteidigung ist wichtig, aber der Staat sollte andere Mittel in den Mittelpunkt ihrer Arbeit für den Grundrechtsschutz stellen. Dies ist zudem das Eingeständnis, dass die Bundesregierung keine Möglichkeit sieht, die Bevölkerung vor Überwachung durch nicht-westliche (und damit ja auch vor westlichen) Nachrichtendienste zu schützen.

SPIEGEL: Bei Telefonaten gingen wir bislang davon aus, dass sie durch das Grundgesetz geschützt sind und in einem vertraulichen Rahmen stattfinden. Seit den Veröffentlichungen des ehemaligen Mitarbeiters des US-Geheimdienstes NSA, Edward Snowden, müssen wir annehmen, dass wir systematisch abgehört und abgeschöpft werden. Beunruhigt Sie das?

Friedrich: Wir haben bislang keine Anhaltspunkte dafür, dass die amerikanischen und britischen Dienste NSA und GCHQ in Deutschland Telefone abhören.

Diese Aussagen sollte man sich merken. Sie ist sehr gewagt und spricht erneut den Enthüllungen Snowdens ihre Grundlage ab. Sie steht auch im Widerspruch zu späteren Aussagen im Interview, wo er eindeutig das Stattfinden von Abhöraktionen bestätigt, wenn die Kommunikationspartner in ein bestimmtes Raster passen oder entsprechende Hinweise vorliegen, was auch nach deutschem Recht unter Umständen legal wäre. Vielleicht muss man jedoch die Formulierung „in Deutschland“ stärker betonen und davon (wie Friedrich?) ausgehen, dass das Abhören von deutschen Telefonaten in England oder anderswo stattfindet.

SPIEGEL: Aus den Snowden-Dokumenten geht hervor, dass GCHQ den transatlantischen Datenverkehr am Glasfaserkabel TAT-14 ausleitet und die Inhalte für mehrere Tage speichert. Über diese Verbindung läuft ein Großteil aller deutschen Telefongespräche und E-Mails nach Übersee. Haben Sie damit kein Problem?

Friedrich: Weltweit verläuft Kommunikation über Glasfaserverbindungen. Auch Nachrichtendienste klinken sich dort ein, um den Datenstrom zu filtern. Wenn der elektronische Filter ein Signal gibt, dass jemand die Telefonnummer eines mutmaßlichen Terroristen, etwa in Pakistan oder im Jemen, anwählt, dann ist diese Erkenntnis vielleicht der erste Schritt, um einen möglichen Terroranschlag zu verhindern, der viele Menschenleben kosten könnte. Eines steht fest: Die normalen Bürger sind nicht betroffen. In diesem Zusammenhang geht es um die strategische Fernmeldeaufklärung, also im ersten Schritt um die Auswertung von Verbindungsdaten – nicht um Gesprächsinhalte.

Wenn Sie telefonieren, dann verläuft das Gespräch nicht über nur ein Glasfaserkabel, sondern in mehreren Paketen über unterschiedliche Verbindungen.

Und hier liegt das Problem. Friedrich gibt zu, dass im Rahmen der strategischen Fernmeldeaufklärung Kommunikationsverkehrsdaten flächendeckend ausgewertet werden: bei Telefongesprächen die Rufnummer und anderweitige Verkehrsdaten, wie der Standort. Im Internet- und Mailverkehr jedoch werden sowohl Metadaten wie Adressat und Absender ausgewertet, als auch die Inhalte der Mails systematisch nach Begriffen durchforstet. Und genau an diesem Punkt ist jede und jeder betroffen. Auch Friedrich müsste klar sein, dass mit dem Anwenden des „elektronischen Filters“ ein Eingriff in die Grundrechte stattfindet. Und diese geschieht zu jeder Zeit und flächendeckend. Dies ist ein Eingriff in die Grundrechte von Millionen Menschen. Zudem ist die Zwischenspeicherung des gesamten Internetverkehrs für mehrere Tage durch das GCHQ ein weiterer massiver Grundrechtseingriff.

SPIEGEL: Aber die Schleppnetzmethode der Geheimdienste trifft ja eben nicht nur Terroristen. Hat Sie das in den vergangenen Wochen bekannt gewordene Ausmaß der Datenüberwachung überrascht?

Friedrich: Wenn Sie unterstellen, dass flächendeckend in Deutschland Menschen ausgespäht werden, dann sage ich Ihnen, dass das nicht der Fall ist. Bei den angeblich von den Amerikanern „abgesaugten“ Datensätzen handelt es sich um Verbindungsdaten aus Krisengebieten, und zwar aus Afghanistan. Da geht es nicht um Telefonate in Deutschland, sondern um Telefonate außerhalb Deutschlands, in denen es zum Beispiel um geplante Anschläge gegen Soldaten ging. Diese Terrorakte verhindert zu haben halte ich für richtig.

Der Verweis auf Auslandsaufklärung ist irreführend. Der „elektronische Filter“ betrifft deutsche BürgerInnen, da Internetdaten keinen Pass mit sich führen. Internetkommunikation in Deutschland läuft auch durch transnationale Glasfasernetze und werden damit vom „elektronischen Filter“ durchleuchtet. Friedrich bestätigt mit seinen technischen Aussagen, dass in Deutschland die Menschen flächendeckend ausgespäht werden.

Zusammenfassung:

Friedrich bestätigt, dass die NSA und andere Geheimdienste elektronische Filter an Knotenpunkten und den relevanten Unterseekabeln einsetzen. Dass eine solche Praxis stattfindet, ist nicht neu, und ist auch die Arbeit des BND. Auch die millionenfache Betroffenheit von Deutschen bestätigt Friedrich in dem Interview und zwischen den Zeilen vermittelt Friedrich, dass dagegen auch nichts gemacht werden könne. Der erste Schritt der von Friedrich beschriebenen „strategischen Fernmeldeaufklärung“, die Filterung von Kommunikationsverkehrsdaten oder auch Metadaten, ist bereits ein Grundrechtseingriff. Friedrich sieht jedoch erst in dem Moment der systematischen Einzelüberwachung den relevanten Eingriff in die Grundrechte. Dass aber schon die Filterung unserer Kommunikation unsere Grundrechte einschränkt und weitreichende Folgen hat, verkennt er. Meine eigene Auswertung von Vorratsdaten zeigt, welche weitreichenden Rückschlüsse man aus solchen Informationen ziehen kann. Dass diese millionenfache Auswertung täglich stattfindet und von der schwarz-gelben Bundesregierung als normal abgetan wird, ist der eigentliche Skandal. Es ist ein Skandal, weil sich damit rigoros über Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts hinweggesetzt wird. Für Friedrich scheint die elektronische Filterung unserer gesamten Kommunikation akzeptabel zu sein. Das dürfen wir ihm nicht durchgehen lassen. Der Eingriff in unsere Grundrechte hat schon mit der Filterung unser Daten begonnen. Die Folgeschritte erhöhen nur noch die Intensität des Eingriffs.

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