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Gastbeitrag: Vergüten statt verfolgen

Am 12. Juni 2012 habe ich einen Gastbeitrag bei Zeit Online veröffentlicht. Darin spreche ich über die Weggabelung vor der wir stehen bei der Zukunft des Internets und der Ausgestaltung und Durchsetzung des Urheberrechts.

Vergüten statt verfolgen

von Malte Spitz

So kontrovers der aktuelle Urheberrechtsdiskurs auch geführt wird, so konsensual ist, dass der Status Quo niemanden zufriedenstellt. Auf der einen Seite stehen Hunderttausende von unverhältnismäßigen Abmahnungen, auf der anderen werden urheberrechtlich geschützte Werke umfangreich verbreitet, vervielfältigt und verarbeitet, oft ohne irgendeine Vergütung der Urheber dafür.

Die Lage ist mittlerweile so festgefahren und komplex, dass Politik und Gesellschaft an einer Weggabelung stehen. Dies muss man sich verdeutlichen, wenn die Debatte über einen fairen Interessenausgleich zwischen Urhebern und Nutzern jetzt endlich konkretisiert wird.

Es kommt jetzt darauf an, dass eine Urheberrechtsreform – ein Thema, das viel zulange niemanden interessierte – engagiert vorangetrieben wird.

Wo bleibt der „dritte Korb“?

Die Zeiten, in denen die Hände angesichts der zahlreichen, auf diesem Gebiet zu bearbeitenden Baustellen untätig in den Schoß gelegt wurden, müssen vorbei sein. Die Bedeutung, die dem Urheberrecht in der modernen Wissens- und Informationsgesellschaft zukommt, ist dafür zu hoch.

Es ist nicht länger tolerierbar, dass die schwarz-gelbe Bundesregierung zwar seit Anfang der Legislaturperiode den sogenannten Dritten Korb der Urheberrechtsreform ankündigt, ihn aber nicht vorlegt und inhaltlich anscheinend eindampft. Entscheidungen und Veränderungen sind seit Jahren überfällig.

Doch geht es nicht allein um das Urheberrecht, es geht gleichzeitig um den künftigen Werdegang des Internets. Die Entscheidungen, die man jetzt trifft, werden Folgen für die nächsten zehn, zwanzig Jahre haben.

Die eine Richtung, die eingeschlagen werden kann, ist die der stärkeren repressiven Rechtsdurchsetzung und -verfolgung. Ein solches Vorgehen zu fordern, ist legitim. Doch muss man sich seiner Konsequenzen vor allem für unsere Bürgerrechte bewusst sein und darf diese nicht verschweigen. Und ich behaupte nicht, dass diese Folgen kommen können, sondern dass sie kommen werden.

Verfolgung ohne rechtsstaatliche Kontrolle

Geht es um die Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen im geringen Umfang, findet heutzutage keine faire Rechtsdurchsetzung statt. Es wird oft nur derjenige bestraft, der mit dem „falschen“ Internetzugangsanbieter surft – nämlich einem, der die IP-Daten seiner Kunden speichert. Es wird nur der bestraft, der nicht in der Lage ist, anonyme Plattformen zu benutzen oder seine Internetnutzung zu anonymisieren.

Die Verfechter dieses Weges der Repression plakatieren ihn mit harmlosen Begriffen. Ein gutes Beispiel ist die auf den ersten Blick unverdächtige Vokabel „Warnhinweis“. Statt unmittelbar Abmahnungen zu verschicken, soll der betroffene Nutzer ohne rechtsstaatliche Kontrolle und durch eine direkte Zusammenarbeit zwischen Internetzugangsanbieter und Rechteinhaber Hinweise darüber erhalten, dass über seinen Internetanschluss nicht legale Datenübertragungen stattgefunden haben. Eine Anschuldigung oder Vermutung durch die Rechteinhaber reicht also aus, um entsprechende Warnhinweise verschicken zu lassen. Eine Kontrolle, ob die Vorwürfe zutreffen, findet in diesem Modell nicht statt.

Dabei sagen Experten, dass in rund zehn Prozent der Fälle die IP-Adressen falsch gespeichert oder anschließend der falschen Person zugeordnet werden. Dieses Verfahren setzt außerdem die Vorratsdatenspeicherung voraus. Denn damit ein solches System flächendeckend funktioniert, braucht es zwingend die anlasslose Speicherung von IP-Daten und die daraus folgende Zuordenbarkeit von Anschlüssen.

Nicht ohne Grund sind der Bundesverband Musikindustrie und der Börsenverein des Deutschen Buchhandels im Winter 2009 in Karlsruhe vorstellig geworden, um bei der mündlichen Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung vehement für dieses Instrument zu werben. In ihrer Stellungnahme schreiben sie, dass es bei der Vorratsdatenspeicherung um „die Gewährleistung der Rechtsdurchsetzung im digitalen Zeitalter“ gehe.

Dass die Rechtsdurchsetzung auch vor der Vorratsdatenspeicherung funktionierte und dass sie dies auch seit dem 2. März 2010 noch tut, als die zwischenzeitlich eingeführte Vorratsdatenspeicherung vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt wurde, sei wenigstens am Rande angemerkt.

Doch das Karussell dreht sich weiter, der technische Fortschritt ist unaufhaltbar. Bereits heute ist es mit einem Klick möglich, sich Programme herunterzuladen, um per Add-On im Internetbrowser die Sperrung von GEMA-geschützten Videos auf YouTube automatisiert zu umgehen. Das Programm gaukelt dabei einfach vor, man befände sich als Nutzer in einem anderen Land. Im Handumdrehen ist die Seite nicht mehr geschwärzt, das Video läuft, als habe es nie ein Hindernis gegeben.

Künftig werden Dienste, mit denen Daten anonym angeboten und heruntergeladen werden können, einfach und komfortabel für jede und jeden verfügbar sein. Eigentlich ist dies auch heute schon der Fall. Noch aber werden sie selten genutzt, da ein gewisser technischer Sachverstand Voraussetzung ist. Man kann aber davon ausgehen, dass bald nur noch ein einziger Klick notwendig ist, um entsprechende Programme laufen zu lassen.

Die Vorratsspeicherung der IP-Daten ist damit nicht mehr zweckdienlich, also muss weiter an der Repressionsschraube gedreht werden. Der nächste Schritt wäre die komplette Filterung des Internetverkehrs der Nutzer: Wenn man sie nicht mehr verfolgen kann, muss eben die Durchleitung der Daten gestoppt werden. So wird letztlich die Möglichkeit geschaffen, jedes gesendete Datenpaket auf seinen Inhalt zu überprüfen, Deep Packet Inspection genannt. Das erlaubt, jeden Inhalt zu stoppen, wenn der Verdacht besteht, dass urheberrechtlich geschütztes Material nicht legal verbreitet wird.

Noch verhindern Gesetze die Filterung

Wir wissen, dass dies auch heute schon möglich ist. Die Technik ist vorhanden, die Skrupel, sie flächendeckend einzusetzen, nicht. Noch verhindern rechtliche Schranken, dass Deep Packet Inspection zur alltäglichen Begleiterin des Internets wird. Länder wie China oder der Iran zeigen aber, dass die Filterung von Daten durchaus funktioniert.

Alternativ böte sich an, die Möglichkeit abzuschaffen, das Internet anonym zu nutzen, beispielsweise durch einen Klarnamenzwang, der beim Einloggen mit dem elektronischen Personalausweis durchgesetzt wird. Zur Zeit wird das noch durch die gesetzliche Verpflichtung der Telemedienanbieter verhindert, ihre Angebote auch anonymisierten Nutzern zur Verfügung zu stellen. Sollte diese Verpflichtung aufgehoben werden, wäre nichts mehr geheim oder privat, dann wäre jeder Klick, jede geladene Seite, jede verschickte E-Mail nachvollziehbar und könnte individuell zugeordnet werden.

Zweifellos: Die Durchsetzung des Urheberrechts in seiner heutigen Form könnte so funktionieren. Die Folgen für unsere offene demokratische Gesellschaft wären allerdings verheerend.

Dabei gibt es an der Weggabelung auch einen zweiten Weg, vielleicht sogar noch mehr. Diese Wege sind anstrengender und auch mit einer größeren Ungewissheit belastet, weswegen sich die meisten Politiker und Parteien derzeit noch scheuen, sie zu gehen. Sie zwingen uns zu grundlegendem Nachdenken über die Auswirkungen von Internet und Digitalisierung auf unsere Gesellschaft. Wir müssten debattieren, welche Möglichkeiten sich dank einer vereinfachten Verfügbarkeit von Wissen und kulturellen Gütern ergeben, und wir müssten darüber reden, wie ein fairer Interessenausgleich vor allem zwischen Nutzern und Kreativen aussehen könnte. Verwerter dürfen dabei nicht ausgeblendet werden.

Dazu gehört auch, sich einzugestehen, dass das bloße Rufen nach einfachen technischen Antworten nicht unbedingt die sinnvollste Herangehensweise ist. Wir müssen zwingend Ausschau halten nach alternativen Systemen und Ansätzen, die zudem bürgerrechtskonform sind. Wichtig dabei ist, stärker als bisher zu unterscheiden zwischen kommerzieller Verwertung urheberrechtlich geschützter Inhalte im Internet und der nicht kommerziellen Nutzung geschützter Inhalte durch die Nutzer in unterschiedlichster Form.

In diesem Zusammenhang wird oft von einem neuen Gesellschaftsvertrag für das 21. Jahrhundert und für die digitale Gesellschaft gesprochen. Eine logische Antwort dabei lautet: vergüten statt verfolgen. Im Kern bedeutet dieser Ansatz, der angeblichen Notwendigkeit einer verschärften Rechtsdurchsetzung mit angemessener Vergütung der Urheber für nicht kommerzielle Handlungen zu begegnen. Gleichzeitig müssen diese Handlungen entkriminalisiert werden, damit die Repressionsmaschinerie erst gar nicht weiter hochfährt.

Dieser Weg würde nicht bedeuten, das Urheberrecht abzuschaffen oder radikal einzuschränken. Im Gegenteil, es bliebe an etlichen Stellen unangetastet. An vielen anderen Stellen aber sind Veränderungen notwendig: beim Urhebervertragsrecht, bei der internen Demokratie und Verteilungsgerechtigkeit von Verwertungsgesellschaften, bei Regelungen über verwaiste Werke, oder bei den urheberrechtlichen Schranken im Bereich Bildung und Wissenschaft.

Es geht in der Debatte um die Frage, wie es gelingen kann, ein neues Verständnis für einen gesellschaftlichen Wandel zu schaffen. Es geht darum, zu erkunden, was die technischen Umwälzungen für das Urheberrecht bedeuten und wie man die verschiedenen Interessen zusammenbringt und ausgleicht.

Unsere Gesellschaft befindet sich augenblicklich an eben dieser Weggabelung – nicht nur im Bereich des Urheberrechts. Wir müssen sehr grundsätzlich definieren, wie wir den digitalen Wandel politisch gestalten können und wollen. Wie notwendig das ist, zeigt auch der Protest rund um das ACTA-Abkommen: Hunderttausende gingen in diesem Frühjahr auf die Straße, Millionen protestierten online.

Wie kann das Netz für alle nutzbar bleiben?

Weit über die Debatte um das Urheberrecht hinaus geht es dabei um die Bedeutung, die wir einem freien und offenen Internet beimessen. Es geht darum, in einer gesamtgesellschaftlichen Debatte zu klären, welche Entwicklung der digitale Wandel nimmt und wie er gestaltet werden soll. Es geht um die Frage, wie das zentrale Konstrukt dieser Entwicklung, das Internet, zukünftig nutzbar sein soll und wie es für alle Menschen frei und offen gehalten werden kann. Auch hier stehen wir vor einer Gabelung: Rast die Ökonomisierung, Zentralisierung und Kontrollierbarkeit des Internets weiter voran oder wird seine freie, offene und dezentrale Struktur bewahrt?

Dies bringt uns zur eingangs aufgestellten Forderung zurück: Alternativen müssen offen diskutiert werden, abstrakte Forderungen müssen in konkreten Handlungsempfehlungen münden. Politik in der digitalen Gesellschaft muss verstehen, nachvollziehen und durchdringen können, was die Digitalisierung bedeutet und wie sie technisch funktioniert. In der jetzigen Debatte hört man leider noch zu oft, was nicht geht oder was nicht gewollt wird.

Wir Grüne haben eine erste Entscheidung getroffen: Wir wollen den Weg der stärkeren Verfolgung nicht gehen. Wir wollen eine Alternative finden und ausgestalten. Es geht uns dabei um nicht mehr und nicht weniger als um das Allgemeinwohl. Wir haben uns auf den Weg gemacht und arbeiten beispielsweise an der Konkretisierung einer Pauschalabgabe, die sich am Breitbandanschluss festmacht.

Keine Frage, Unwägbarkeiten sind vorhanden und dürfen nicht verschwiegen werden. Der Anspruch, die Interessen aller Akteure tatsächlich auszugleichen und unserer digitalen Gesellschaft ein freies und offenes Internet zu erhalten, sollte allerdings Motivation genug sein, diese aufzulösen.

Brief an den Botschafter des Iran in Deutschland

Den untenstehenden Brief habe ich Ende Mai 2012 an den Botschafter des Iran in Deutschland geschickt.

Sehr geehrter Herr Botschafter Attar,

ich schreibe Ihnen als Mitglied des Bundesvorstandes von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und gleichzeitig als politischer Pate von Hossein Ronaghi Maleki.

Herr Ronaghi Maleki, 28, wurde am 13. Dezember 2009 für seine Mitgliedschaft bei „Iran Proxy“ verhaftet. „Iran Proxy“ ist eine Gemeinschaft junger Iraner, die für einen freien Zugang zum Internet im Iran streitet. Auch wegen angeblicher Regierungskritik verurteilte ihn das iranische Revolutionsgericht im Oktober 2010 zu 15 Jahren Gefängnis. Das Urteil wurde in der Abwesenheit seines Anwalt und des zuständigen Richters bekannt gegeben. Hinzu kam, dass Ronaghi Malekis Unterschrift des Urteils nur unter Zwang zustande kam. Ein fairer Prozess war also zu keinem Zeitpunkt gegeben.

Verschlimmert wird die Lage von Herrn Ronaghi Maleki durch dessen Nierenbeschwerden. Eine Behandlung dieser kritischen Erkrankung wurde ihm durch den Richter Pir Abbasi versagt. Hinzu kommt, dass Herr Ronaghi Maleki weiterhin psychischen und physischen Belastungen ausgesetzt ist, nicht zuletzt durch fortlaufende Vernehmungen. Es gibt Grund zur Vermutung, dass es während dieser Befragungen auch zu körperlichen Misshandlungen gekommen ist.

Als letzten Weg seines persönlichen Protests ist Herr Ronaghi Maleki am 23. Mai in den Hungerstreik getreten. Eine Entscheidung, die in Anbetracht seines Gesundheitszustands akut lebensbedrohlich ist. Bereits jetzt hat eine seiner Nieren versagt und die andere ist nur noch zu 80% funktionsfähig.

Ich setzte mich weltweit für ein freies Internet, Meinungsfreiheit und Bürgerrechte ein. Auch deshalb ist mir das Schicksal von Ronaghi Malekis ein persönliches Anliegen. Die Festnahme und Verurteilung ist ein drastischer Verstoß gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung und das Recht auf ein gerechtes Justizverfahren. Die Verweigerung medizinischer Behandlung verstößt gar gegen das Recht auf Leben.

Gerade in Anbetracht von Herrn Ronaghi Malekis prekären Gesundheitszustand fordere ich dessen sofortige und konditionsfreie Haftentlassung und die Möglichkeit einer medizinischen Behandlung!

Vielen Dank,

Malte Spitz Bundesvorstandsmitglied BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Ich bin politischer Pate von Hossein Ronaghi Maleki – Helft mit!

Seit fast einem Jahr habe ich die Politische Patenschaft für den iranischen Blogger Hossein Ronaghi Maleki übernommen. Wir kennen uns nicht persönlich, aber uns verbindet etwas. Wir sind am gleichen Tag im gleichen Jahr geboren, am 14. April 1984. Auch im Jahr 2012 ist es noch Realität das man für den Kampf für ein freies und offenes Internet verfolgt, misshandelt, verurteilt und auch getötet wird. Wegen seiner regimekritischen Blogeinträge sowie seines Einsatzes für Menschenrechte und ein freies und offenes Internet im Iran wurde er 2009 festgenommen und ein Jahr später zu 15 Jahren Haft verurteilt. Nun kämpft er um sein Leben, weil ihm eine notwendige medizinische Versorgung verweigert wird.

Hossein Ronaghi Maleki (Quelle igfm.de)

Hossein Ronaghi Maleki (Quelle igfm.de)

Seit dem 23.Mai befindet sich Hossein im Hungerstreik. Bei seinem gesundheitlichen Zustand ist sein Leben nun akut bedroht. Eine Niere hat bereits die Arbeit aufgegeben, während die andere nur noch zu 80% leistungsfähig ist. Angesichts der aktuellen Entwicklungen und in Anbetracht des besorgniserregenden Gesundheitszustands von Hossein Ronaghi Maleki, dessen Schicksal stellvertretend für viele junge Blogger im Iran steht, ist ein entschlossenes Handeln nötig. In einem Brief an den iranischen Botschafter Ali Reza Sheik Attar fordere ich die unverzügliche Freilassung von Hossein.

Die iranische „Blogossphäre“ zählt wohl zu den größten und lebendigsten im Nahen und Mittleren Osten. Im Internet suchen viele größtenteils junge und oft oppositionelle IranerInnen nach einem Raum, um ihre Meinung frei zu äußern. Um dies trotz der Zensur- und Überwachungsmaßnahmen der Regierung zu ermöglichen, gibt es Vereinigungen wie „Iran Proxy“. Die Gruppierung von Internetaktivisten, der auch Hossein Ronaghi Maleki angehörte, versucht durch die Errichtung von Proxy-Severn einen freien Internetzugang im Land zu schaffen. Doch das Bestreben der Führungseliten im Iran, den scheinbaren Status quo im Land zu erhalten, ist stark – so kann der Einsatz für die freie Meinungsäußerung im Internet schwerwiegende Konsequenzen haben, was die Geschichte von Hossein Ronaghi Maleki zeigt.

Hossein ist jetzt 28 Jahre alt. Auf 300 Tage Einzelhaft folgte vor zwei Jahren der Antritt seiner 15-jährigen Haftstrafe. Sein Urteil musste er ohne die Anwesenheit seines Anwalts unterzeichnen. Seitdem hat er im Teheraner Evin-Gefängnis mit schwersten physischen und psychischen Bedingungen zu kämpfen. Geständnisse, die er nicht freiwillig ablegt, werden erzwungen, zur Not auch mit Gewalt. Seinen Eltern berichten von wiederholten Misshandlungen während der Verhöhrung durch iranische Sicherheitsbeamte.

Der Vorwurf gegen den Blogger: „regierungsfeindliche Propaganda“ und die „Beleidigung des Obersten Revolutionsführers und des Präsidenten“. Doch der für die Schwere des Urteils ausschlagende „Tatbestand“ war ein anderer. In Zusammenarbeit mit „Iran Proxy“ soll er Computersoftware geschrieben und benutzt haben, mit der die Filtersysteme der Regierung umgangen werden können, um so mitunter Menschenrechtsbewegungen im Internet zu unterstützen. Nun sind es seine Menschenrechte, um die wir dringend kämpfen müssen, denn Hossein leidet seit Monaten unter einer schweren Nierenkrankheit, die unbedingt behandelt werden muss. Eine Operation wurde ihm zwar bereits gewährt. Doch trotz deutlicher Appelle der Ärzte und dem Einlenken der Teheraner Staatsanwaltschaft wurde ihm der notwendige Hafturlaub für weitere medizinische Versorgung von dem zuständigen Richter Pir Abbasi verweigert.

Es handelt es sich bei dieser Vorgehensweise um keinen Einzelfall. Die IGFM (Internationale Gemeinschaft für Menschenrechte) berichtet über eine „systematische Vorgehensweise“ der iranischen Justiz, politischen Gefangenen lebensnotwendige medizinische Versorgung zu verwehren. Wo der Tatbestand nicht schwerwiegend genug ist, wird quasi eine „Todesstrafe ohne Hinrichtung“ vollzogen. Andere regimekritische Blogger oder Websiten-Betreiber werden direkt zum Tode verurteilt, wie kürzlich der 25-jährige Student Vahid Asghari. Ihm wurde neben regierungskritischen Aussagen das „Betreiben einer blasphemischen Website“ zur Last gelegt.

Besonders im Vorfeld der Parlamentswahlen am 2. März 2012, wurden die Angriffe auf die Meinungsfreiheit durch die „Wächter der Islamischen Revolution“ nochmal verstärkt. Der Iran-Experte von Amnesty International, Dieter Karg, spricht von einer „regelrechten Verhaftungswelle“ Oppositioneller in den letzten Monaten. Die verstärkten Unterdrückungs- und Überwachungsmaßnahmen richten sich besonders auch gegen Internetaktivsten. Mit einer von den iranischen Behörden geschaffenen „Cyber-Polizei“, so Karg, werden beispielsweise Internetcafé-Besitzer gezwungen, mit Überwachungskameras die Identität der Internet-User festzuhalten. Die Vorgehensweisen der iranischen Justiz laufen dabei keineswegs verdeckt, sondern intendiert in der Öffentlichkeit ab, um Oppositionelle einzuschüchtern. So haben sich laut dem aktuellen Amnesty-International Bericht öffentliche Hinrichtungen von Iranern im 2011 im Vergleich zum Vorjahr vervierfacht.

Hier mein Brief an den Botschafter des Iran in Deutschland auf Farsi.

Die deutsche Fassung des Briefes als .odt Datei.

Unterstützt auch die Eil-Aktion von Amnesty International zum Hungerstreik von Hossein Ronaghi Maleki und fordert mit seine Freilassung und die notwendige ärztliche Behandlung.

Weitere Infos bei CNN iReport.

Beschluss des Grünen Bundesvorstandes zum Tag der Internetfreiheit.

Danke Julia!

Da ich Verfechter einer Anerkennungs- und Dankeskultur bin, auch in Parteien, die folgenden Zeilen zum heutigen Austritt von Julia Seeliger bei uns Grünen:

Liebe Julia,

Julia bei einer GJ BuVo-Klausur 2005 in der Kommune Niederkaufungen mit Schläppi

Julia bei einer GJ BuVo-Klausur 2005 in der Kommune Niederkaufungen mit Schläppi

Du hast heute deinen Austritt bei uns Grünen bekannt gegeben. Wie du schreibst, hat es dir beruflich geschadet als „Grüne Politikerin“ verstanden, bezeichnet und vermutlich auch manchmal beschimpft zu werden. Als Journalistin, die politisch ist, ist der Vorwurf und die Unterstellung parteipolitisch zu sein, ggf. sogar so zu handeln, nicht ertragbar und damit auch kaum hinnehmbar. Ich zolle dieser Entscheidung meinen Respekt, finde sie persönlich sehr schade, aber auf der anderen Seite ist es für dich selber vermutlich die beste Lösung. Ich kenne dich seit acht Jahren, wir hatten viele lustige Momente miteinander, haben uns gegenseitig angezickt und du hast gerne auch mal gepöbelt, auch lauthals gegen mich. Wenn man dich kennt, verzeiht man dir sowas aber gerne.

Wir haben Aktionen bestritten, sei es in komischen Pinguinen, Aufkleb-Tattoos auf nem Festival verteilt, sind in nem Vito gefahren, der so verdreckt war, dass es mich noch heute wundert das Europcar ihn anstandslos zurückgenommen hat. Haben zusammen im Bundesvorstand der GRÜNEN JUGEND gesessen, wurden im Dezember 2006 in die grüne „Parteispitze“ gewählt, du in den Parteirat, ich in den Bundesvorstand.

Julia, du hast gekämpft das Grüne wie junggrüne Politik den Wert der Selbstbestimmung fördert und nicht verliert, bei der Drogen- und Netzpolitik und auch in anderen Bereichen. Wir haben gemeinsam netzpolitische Fragen diskutiert und vorangetrieben zu einer Zeit, als viele Leute noch dachten, Netzpolitik hat was mit Stromtrassen und Gasleitungen zu tun. Du hast in einer Zeit wo die Grünen sich neu gefunden haben, nach sieben Jahren rot-grüner Regierungsarbeit, nicht nur Farbe sondern auch manch neuen Ton in Debatten gebracht. Damit bist du vielen Leuten auf die Nerven gegangen, manchmal zu Recht, vieles war aber richtig. Ich könnte noch viele weitere Punkte aufführen, möchte aber eigentlich nur Danke sagen. Ich weiß du bleibst der Politik verbunden, nicht mit nem Parteibuch in der Hand (gibt’s eh nicht bei uns Grünen), sondern als politischer Mensch, die gut schreibt, Debatten anstoßen will und sich nicht zu fein ist, für ihre Meinung und die Rechte anderer auf die Straße zu gehen, sich da auch mal hinzusetzen und notfalls dort auch zu schlafen.

Darum: Danke Julia!

Lust auf ein Praktikum in meinem Büro?

Der Bundesvorstand von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sucht ab Anfang Mai 2012 eineN PraktikantIn. Inhaltlicher Schwerpunkt der Tätigkeit sind die Themenbereiche Bürgerrechte, Datenschutz und Netzpolitik. Die Stelle ist im Büro des Bundesvorstandsmitglieds Malte Spitz angesiedelt.

Vorausgesetzt werden organisatorisches Geschick, Teamfähigkeit und Interesse an der Zusammenarbeit mit vielen verschiedenen Organisationen und Menschen. Zu den Aufgaben gehören neben allgemeiner Bürotätigkeit die Unterstützung bei der Planung der Grünen Bodenseekonferenz und einer Fachtagung sowie die Zusammenarbeit mit Grünen Parteien und Akteuren in Europa und weltweit. Kenntnisse in den Bereichen Bürgerrechte, Datenschutz, Netzpolitik sowie im journalistischen Schreiben sind von Vorteil.

Beginn des Praktikums: Anfang Mai 2012

Ende des Praktikums: Mitte Juli 2012

Ort: Berlin, Bundesgeschäftsstelle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Bruttomonatsvergütung: 350 Euro

Bewerbungen mit Lebenslauf bitte bis zum 16. April an buero.spitz@gruene.de. Rückfragen beantworten wir gern per E-Mail oder unter Telefon 030-28442-151.

Grundsätzliches zu Praktika in meinem Büro findest du hier.

Bildergalerie: Flashmob gegen Warnhinweise auf der CeBIT

Am 10. März haben 25 Leute bei einem Flashmob auf dem CeBIT Stand des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie gegen die Pläne des Ministeriums zur Einführung von Warnhinweisen bei Urheberrechtsverletzungen demonstriert.

Flashmob auf dem Stand des Bundeswirtschaftsministeriums

Heute hat ein Flashmob auf dem Stand des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie auf der CeBIT stattgefunden. Die 25 TeilnehmerInnen haben gegen Warnhinweise bei Urheberrechtsverletzungen protestiert, die das Bundeswirtschaftsministerium gerade plant einzuführen. Zudem haben die TeilnehmerInnen der Aktion gefordert, dass der so genannte „Wirtschaftsdialog“, der kommende Woche am 15. März zu diesem Thema stattfindet, offen und transparent und unter Beteiligung der Zivilgesellschaft stattfindet.

Flashmob auf dem Stand des BMWi

Flashmob auf dem Stand des BMWi

Alle Bilder dieser Aktion stehen unter der Lizenz: CC BY-ND 3.0

Fotogalerie vom Flashmob am 10. März auf der CeBIT

ZIP-Datei mit Bildern vom Flasmob

ZIP-Datei mit weiteren Bildern vom Flashmob

Brief an ARD und ZDF zur Stellungnahme der Deutschen Content Allianz gegen ACTA

Dieser Brief wurde von Tabea Rößner und mir an die ARD Vorsitzende Frau Piel und den ZDF Intendanten Herrn Schächter geschickt. Es geht auf eine gemeinsame Stellungnahme, unter anderem mit ARD und ZDF, im Rahmen der Deutschen Content Allianz gegen ACTA zurück.

Sehr geehrte Frau Piel, Sehr geehrter Herr Schächter,

mit großer Verwunderung haben wir Ihre gemeinsame Stellungnahme vom 17. Februar 2012 im Rahmen der Deutschen Content Allianz in Bezug auf ACTA vernommen. Sie drängen darin die Bundesregierung, „ohne weitere Verzögerung“ das Abkommen zu unterzeichnen. Obwohl Sie eine Reform des Urheberrechts einfordern, würde mit ACTA eine weitere Bestätigung und Festigung der bisherigen Praxis der Rechtsdurchsetzung vorgenommen werden, Reformen würden dadurch erschwert. Kritik an dem höchst intransparenten Entstehungsverfahren wird überhaupt nicht genannt. Neben Ihrer deutlichen Unterstützung für ACTA, kritisieren Sie die Bundesjustizministerin für ihre ablehnende Haltung gegenüber Warnhinweismodellen und lassen dadurch erkennen dass Sie einen solchen Ansatz für richtig erachten. Aufgrund der aktuellen Diskussion über ACTA, das ja nicht nur Urheberrechtsfragen betrifft, und der Distanzierung vieler Staaten gegenüber dem Abkommen, ist Ihr Vorstoß alles andere als glücklich.

Sie fordern in dem Brief eine Reform des Urheberrechts, ohne aber selbst konkrete Vorschläge dafür zu unterbreiten. Allenfalls sind es Richtungsvorgaben, die nach einer stärkeren Rechtsdurchsetzung rufen, anstatt grundsätzlich zu schauen, wo eine Modernisierung des Urheberrechts und des Urhebervertragsrechts geboten ist.

Ihr Beschwören einer Generation, die „ohne jedes Unrechtsbewusstsein für ‘digitalen Diebstahl’ aus Schule und Elternhaus in die große Welt des Internets entlassen worden seien“, finden wir erschreckend, falsch und nicht belegt. Die öffentlich-rechtlichen Anstalten setzen sich für eine Stärkung der Medienkompetenz vor allem der jüngeren Menschen, auch im Internet, ein. In einer Anhörung der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ haben Sie uns gegenüber aktiv für dieses Engagement geworben. Mit einer Äußerung wie der oben genannten stellen Sie jedoch ihren Glauben an solche Aktivitäten und die Jugend an sich in Frage und polemisieren übermäßig.

Gerade das öffentlich-rechtliche Fernsehen hat eine Verantwortung gegenüber allen Generationen, ein anspruchsvolles Programm anzubieten, verliert aber seit Jahren in den Hauptprogrammen und auch den Nebenprogrammen den Zuspruch junger Menschen. Diese gemeinsame Stellungnahme und die Zusammenarbeit an sich in der Deutschen Content Allianz, wirft ein falsches Licht auf die Arbeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und stellt die Anstalten in eine Reihe mit Verbänden, die teilweise höchst aggressiv, besonders in Fragen des Urheberrechts, im öffentlichen Raum auftreten. Von Seiten der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten würden wir uns ein anderes, differenzierteres Auftreten wünschen und eine größere Distanz zu solchen Bündnissen. Statt öffentlich eine stärkere Durchsetzung des heutigen Urheberrechts einzufordern und Warnhinweismodelle zu unterstützen, würden wir uns freuen, wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk eine andere Richtung einschlägt.

Jüngere Menschen nutzen immer stärker das Internet und auch die Inhalte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks über das Internet. Wir Grüne setzen uns seit Jahren für einen starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk ein. Wir erwarten jedoch, dass sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk den Anforderungen des Netzes stellt und innovative Konzepte überdenkt, um die Inhalte an die Zuschauerinnen und Zuschauer zu bringen und ihnen langfristig bereitzustellen, anstatt alte Modelle zu zementieren. So besteht beim Einsatz freier Lizenzen, bspw. Creative Commons, großer Nachholbedarf.

Und auch die von Ihnen gescholtene jüngere Gruppe, würde sich über ein vielschichtiges Programm, am besten in einem eigenen Jugendsender zusammengefasst, mehr als freuen.

Wir hoffen, Sie nehmen diesen Brief zum Anlass, Ihre Position sowohl zu ACTA, Warnhinweismodellen gegenüber Urheberrechtsverletzungen im Bereich nicht-kommerzieller Nutzung als auch Ihr Engagement in der Deutschen Content Allianz an sich zu überdenken.

Mit freundlichen Grüßen,

Tabea Rößner & Malte Spitz

Unverhältnismäßig: Verkehrsdatenspeicherung wie zu Zeiten der Vorratsdatenspeicherung

Am 6. Oktober 2011 habe ich die T-Mobile Deutschland GmbH erneut auf Grundlage von §34 BDSG gebeten, mir schriftlich Auskunft zu erteilen, welche Daten sie zu meiner Nummer bzw. meinem Mobilfunkanschluss gespeichert haben. Es ging dabei insbesondere auch um die Verkehrsdaten die gespeichert werden. Damit habe ich rund 18 Monate nach dem wegweisenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung, welches die deutsche Umsetzung der entsprechenden EU-Richtlinie für nichtig erklärt hatte und die sofortige Löschung aller entsprechend gespeicherten Daten veranlasste, erneut herausfinden wollen, was eigentlich tatsächlich bei dieser Datenspeicherung stattfindet. Das Bundesverfassungsgericht hat sich ja sowohl gegen die Dauer, als auch bezüglich des Umfangs der Speicherung von Kommunikationsverkehrsdaten kritisch positioniert.

Bisher wurden diese Daten auf Basis des Telekommunikationsgesetzes (TKG) gespeichert. Das TKG wurde im Herbst 2011 an etlichen Stellen überarbeitet und entsprechend vom Deutschen Bundestag beschlossen.

Regelmäßigkeit der Kommunikation auf den Tag verteilt zu den zehn häufigsten Anschlüssen

Regelmäßigkeit der Kommunikation auf den Tag verteilt zu den zehn häufigsten Anschlüssen

Damals wie heute regelt das TKG aber nur sehr allgemein und mit einem sehr großen Ermessensspielraum für die Unternehmen, welche Daten sie zu Abrechnungszwecken und zur Gewährleistung des Services speichern dürfen. Hier fordern wir als Grüne schon lange, klare Vorgaben und Grenzen zu setzen. Es werden deutlich mehr Daten gespeichert als für die notwendigen Schritte erforderlich. Insbesondere so sensible Daten wie die Funkzellen, Geokoordinaten und der entsprechende Abstrahlwinkel. Diese Speicherung kann in Städten dazu führen, dass man auf wenige Meter (30 bis 50 Meter) genau getrackt werden kann. Es lässt sich so zwar nicht zwingend sagen, auf welcher Straßenseite man sich befindet, der Häuserblock ist aber zuzuordnen. Bedenkt man, dass GPS-Systeme (Global Positioning System) im zivilen Bereich auch oft nur eine Genauigkeit von zehn Metern sicherstellen, zeigt dies die Tragweite dieser Technik und dessen Genauigkeit. Der Chaos Computer Club hat deswegen schon frühzeitig Handys als Ortungswanzen tituliert.

Um diese Tragweite zu verdeutlichen und auch um den Umfang der Vorratsdatenspeicherung bekannt zu machen bzw. darüber aufzuklären, habe ich im Februar 2011 gemeinsam mit Zeit Online sechs Monate meiner auf Vorrat gespeicherten Daten (Zeitraum: Ende August 2009 bis Ende Februar 2010) veröffentlicht. Diese Daten wurden mit anderen frei zugänglichen Informationen zu meiner Person, beispielsweise von meinem Twitter Account, meiner Website oder aus den öffentlichen Terminübersichten angereichert. Zusammengenommen wurden so sechs Monate meines Lebens sehr genau dargestellt. Die Visualisierung meiner Daten wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Grimme Online Award 2011 und dem renommierten amerikanischen Online Journalism Award.

Die Daten, die ich diesmal erhalten habe, gehen an einer Stelle deutlich weiter als meine Vorratsdaten aus 2010. Wurde mir von T-Mobile bei der Beauskunftung meiner Anfrage 2010 noch der halbe Datensatz übermittelt, nämlich nur alle Daten, die zu meiner Person gehören, wurden mir diesmal auch die Telefonnummern mit zugesandt, die ich angerufen oder denen ich eine SMS geschickt habe bzw. die den umgekehrten Weg nahmen. Aus Datenschutzgründen wurden die letzten vier Ziffern der jeweiligen Rufnummer unkenntlich gemacht. Trotzdem lässt sich damit im Vergleich zu 2010 die wirkliche Tragweite dieser Verkehrsdatenspeicherung aufzeigen. Neben der Kenntlichmachung meines Lebens – wo und wann ich mich wie oft aufhalte, zu welchen Zeiten ich wie üblicherweise kommuniziere – lassen sich diesmal auch soziale Profile und Kommunikationsnetze erstellen. Dadurch, dass ansatzweise ableitbar ist, mit wem ich kommuniziert habe, lassen sich soziale Bindungen eindeutig aufzeigen und in Verbindung setzen – welche Rufnummern rufe ich zu ähnlichen Zeiten an, welche immer nur werktags usw.

Korrelation zwischen Gesprächsteilnehmer und Uhrzeit und wie ähnlich diese sind

Korrelation zwischen Gesprächsteilnehmer und Uhrzeit und wie ähnlich diese sind

Liegen entsprechende Daten von mehreren Rufnummern vor, lassen sich soziale Verbindungen zueinander eindeutig nachzeichen. Dies ist auch im Zusammenhang mit der aktuellen Debatte um die Funkzellenabfrage in Berlin relevant.

Nun aber zu den Erkenntnissen aus den neuen Daten. Eine zentrale Botschaft ist, zumindest bei T-Mobile Deutschland, dass, was die Kategorien angeht, heute der gleiche Datenumfang gespeichert wird, wie zu Zeiten der Vorratsdatenspeicherung, nämlich bis zu 29 Einzelinformationen. Trotz des Urteils des Bundesverfassungsgerichts wird eine Vielzahl an Daten umfassend vorgehalten. Auch dieses Mal wurden Daten bei Aufenthalten im Ausland mit gespeichert, wenn auch nicht die genauen Geokordinaten, sondern nur die Funkzellen. Zudem wurden Standortdaten bei der Beauskunftung übermittelt, bei Gesprächen wo ich mich im Ausland befand. Zu wem diese Daten gehören kann ich nicht nachvollziehen. Selbst Informationen, die vor 2008 nicht gespeichert wurden, sondern dessen Speicherung erst nach Inkrafttreten der deutschen Implementierung der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung als Verpflichtung auf Grund der Umsetzungsordnung begonnen hat, wird weiter vorgenommen, ohne dass eine Abrechnungsrelevanz vorliegt. Damit wird eindeutig gegen das Ziel der Datensparsamkeit verstoßen. Am Beispiel von Kurznachrichten (SMS), die ich erhalten habe, lässt sich dies Praxis gut darstellen. Da der SMS-Empfang kostenlos ist, wurden solche Daten vor 2008 beim Empfänger der Nachricht nicht mitgespeichert. Heutzutage werden auch diese Daten gespeichert. Es lässt sich also feststellen, dass zu Zeiten der Vorratsdatenspeicherung (2008 bis März 2010) der gleiche Umfang an Datenarten gespeichert wurde. Lediglich die Speicherdauer hat sich von 180 Tagen auf 30 Tage reduziert. Damit ist die heutige Speicherpraxis unverhältnismäßig und widerspricht meiner Meinung nach gegen die Datensparsamkeit.

Das führt mich auch zu der Erkenntnis, dass die deutsche Sicherheitsbehörden unnötig Hysterie verbreiten oder unsachlich Informationen von sich geben. Gerade im Jahr 2011 wurde aufgrund der fehlenden Vorratsdatenspeicherung Land auf Land ab – vom Bundeskriminalamt über Bundes- und Landesinnenministern bis hin zu PolizeifunktionärInnen – das Hohelied der unerträglichen Sicherheits- und Ermittlungslücken gesungen. Was den Bereich der mobilen Kommunikationsverkehrsdaten angeht, scheint dies nicht zu stimmen. Zumal Erhebungen zeigen, das wenn Daten abgefragt werden, vor allem Daten aus dem ersten Monat der Speicherung am häufigsten abgefragt wurden.

Politisch folgen aus dieser Auskunft und der damit verbunden Erkenntnis, wie der größte deutsche Mobilfunkanbieter in der Praxis seine Verkehrsdaten speichert, dass folgende Punkte schnellstmöglich umgesetzt werden müssen:

– das Ende der Speicherung von Funkzellen und von Geokoordinaten

– klare Vorgaben und Festlegung, welche Daten zu Abrechnungszwecken tatsächlich relevant sind und dass diesen Daten eine möglichst niedrige Höchspeicherdauer zugrunde liegen muss. Dazu müssen auch die internen Verfahren für Rechnungslegung etc. umgestellt werden, um Datenberge zu verhindern und Flatratedaten zukünftig nicht weiter zu speichern

– Es bedarf einer transparenten Überprüfung der Speicherung entsprechender Verkehrsdaten bei allen Mobilfunkanbietern durch die zuständige Aufsicht

– ein Abschaffung der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung in ganz Europa. Statt ganze Gesellschaften unter Generalverdacht zu stellen, muss diese anlasslose Massenüberwachung beendet werden. Wenn überhaupt, darf nur anlassbezogen und für einen klar und eng definierten Katalog von schweren Straftaten eine entsprechende Vorhaltung von Daten auf Basis eines effektiven Richtervorbehalts geschehen. Die Debatte um die Funkzellenabfrage zeigt einmal mehr: dort, wo Daten vorhanden sind und eigentlich nur in Ausnahmefällen genutzt werden dürfen, werden diese Möglichkeiten schnell zum Regelinstrument.

Für die zwei Grafiken zu meinem Kommunikationsverhalten, geht ein großer Dank an Michael Kreil von OpenDataCity. Insgesamt sind in den 30 Tagen zwischen dem 11. September und dem 9. Oktober 2011 14.541 Datensätze zusammengekommen. Diese Zahl ist so hoch, da ich neue Pushfunktionen auf meinem Handy installiert hatte. Bei den sechs Monaten während der Vorratsdatenspeicherung waren es ja insgesamt „nur“ rund 35.000 Datensätze. Die Orginaldatensätze werde ich nicht veröffentlichen, da auf Grund der Übermittlung der Rufnummern mit denen ich Kontakt hatte, auch Daten von Dritten betroffen sind.

Anbei eine Beschreibung der unterschiedlichen Datenfelder die aktuell gespeichert werden (Stand Oktober 2011), mit einer Beschreibung von T-Mobile für die einzelnen Felder.