Leseprobe

Untenstehend einige Seiten aus dem ersten Kapitel „Expedition zu meinen Daten“ aus meinem Buch „WAS MACHT IHR MIT MEINEN DATEN?“. Das Inhaltsverzeichnis und das komplette erste Kapitel gibt es auch als PDF Datei zum herunterladen. Viel Vergnügen beim lesen und hier findet ihr eine Übersicht wie das Buch gekauft werden kann.

 

1. Expedition zu meinen Daten

»Wer die Macht über unsere Daten hat? Wissen Sie es? Ich weiß es nicht.«

Prof. Dr. Johannes Tuchel, Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Berlin
März 2014, Washington D. C. Ich stehe vor dem Rayburn House Office Building. Das ist eines der drei Abgeordnetengebäude des US-Repräsentantenhauses am Capitol: der Grundriss ein H, die Fassade am Sockel rosafarbener Granit, darüber weißer Marmor, die Flure fünf Meter breit und so lang, dass ich mir ein Skateboard wünsche.

Ich bin verabredet mit James Frank Sensenbrenner jr., kurz: Jim. An der Tür zu seiner Büro-Suite, wie an jeder anderen auch, die amerikanische Flagge. Im Vorraum das holzgerahmte Antiterror-Gesetz, das meine politische Arbeit mit am intensivsten begleitet hat: der Patriot Act. Er räumt den US-Bundesbehörden, insbesondere der Bundespolizei FBI und den Geheimdiensten, einen immensen Spielraum zur Überwachung und Speicherung von Daten ein. Daneben ein Foto, das den damaligen Präsidenten George W. Bush zeigt, der das Gesetz kurz nach dem 11. September 2001 unterzeichnet hat. Hinter
Bush steht Jim Sensenbrenner, zu jener Zeit Vorsitzender des Rechtsausschusses im Repräsentantenhaus. Er gilt als Vater des Patriot Act.

Und nun, März 2014, sitze ich diesem Mann, der im Repräsentantenhaus den fünften Wahlbezirk des Bundesstaates Wisconsin vertritt, gegenüber.

Der 70-jährige Republikaner ist groß und kräftig, sein Händedruck fest, er blickt mir gerade in die Augen. Seit über 30 Jahren ist er Abgeordneter und gilt als eisenharter Verhandler. Ich habe mich auf eine strittige Diskussion vorbereitet, doch wir sind uns schnell einig: Die Praktiken der Massenüberwachung, die seit dem Sommer 2013 nach und nach bekannt werden, sind nicht haltbar. Die Geheimdienste sind außer Rand und Band. Um dem entgegenzusteuern, hat Sensenbrenner mit dem demokratischen Senator Patrick Leahy und Dutzenden anderen Abgeordneten und Senatoren den Freedom Act eingebracht. Sie wollen mit diesem Gesetz die Verhältnismäßigkeit der Mittel wiederherstellen, die Massenüberwachung zurechtstutzen. Sensenbrenner spricht davon, dass er die Sensibilität der Deutschen aufgrund ihrer Geschichte nachvollziehen kann. Über Edward Snowden sagt er: »Er ist weder ein Held noch ein Verräter, er ist ein Krimineller. Allerdings hat er Informationen über Programme ans Tageslicht gebracht, die außerhalb der Grenzen des Gesetzes liegen und die Bürgerrechte von Amerikanern verletzen.« Jim Sensenbrenner will mithelfen, die transatlantische Zusammenarbeit wieder zu stärken. »Ich bin bereit, vor dem Ausschuss des Deutschen Bundestages zu sprechen, wie ich es im Europäischen Parlament getan habe, um Vertrauen in unsere Geheimdienste zurückzugewinnen und um sicherzustellen, dass der Datenschutz gewahrt bleibt.«

Dies zeigt, die Debatte wird nicht nur in Deutschland geführt, sondern weltweit, und zwar nicht nur im politisch linken Milieu, sondern auch bei waschechten Konservativen wie Jim Sensenbrenner, mit dem mich politisch ansonsten eher wenig verbindet. Die Furcht vor dem Verlust der Selbstbestimmung, die durch staatliche Überwachung und die Datensammelwut der Unternehmen ungeahnte Züge annimmt, schweißt eben neuartige Koalitionen zusammen.

Denn Überwachung wirkt. Sie verändert unser Denken und handeln, und sie tut das allein schon dadurch, dass wir glauben, wir würden überwacht. Forscher der Universität Newcastle dokumentierten das eindrucksvoll mit einem simplen Versuch: Sie brachten in der Kaffeeküche über einer Kasse auf freiwilliger Basis ein Foto an – ein weit aufgerissenes Augenpaar glotzte auf die Kasse. Über einer anderen Kaffeekasse schmückte ein Blumenposter die Wand. In der ersten Kasse fand sich siebenmal mehr Geld als in der zweiten. Wer sich überwacht fühlt, handelt bewusst und unbewusst entweder stärker im Sinne der Überwacher oder stärker gegen sie. Das Ergebnis ist also mehr Selbstkontrolle, mehr Konformität, mehr Misstrauen. Und nicht nur einzelne Menschen, eine ganze Gesellschaft verändert sich durch Überwachung. Menschen büßen Autonomie, Freiheit, Individualität ein, wenn sie das Gefühl haben, dass jemand ihnen zuschaut und sich dafür interessiert, was sie tun und denken. Das steht also außer Frage. Aber wie stark wir von wem überwacht werden, das wollte ich herausfinden.

Ich bin mit PC, Computerspielen und Handys in Telgte aufgewachsen. Das ist ein beschauliches Städtchen im Münsterland, bekannt als Wallfahrtsort und durch Günter Grass’ Erzählung Treffen in Telgte, in der eine fiktive Dichterrunde kurz vor Ende des Dreißigjährigen Krieges über einen Friedensaufruf
debattiert.

Mein Vater arbeitete im Vertrieb von IBM. Er kaufte seinen ersten PC, als ich vier Jahre alt war. Ein paar Jahre später kam ein Notebook dazu, ein unglaublich schweres, sperriges Ding. Ich war aber sehr stolz darauf, denn in der neunten Klasse durfte ich eine Klassenarbeit darauf verfassen. Seit über zehn Jahren lebe ich in Berlin, mittlerweile mit Frau und Kind, bin zum Studium gekommen, für die Politik geblieben; ich war jahrelang Mitglied im Bundesvorstand von Bündnis 90/Die Grünen, heute gehöre ich dem Parteirat an.

Technik fasziniert mich. Ich bin zwar kein Bastler und Hacker, der Systeme neu zusammenlötet, Toaster repariert oder ein Handy so programmiert, dass man damit auch die Lampen im Wohnzimmer bedienen kann. Aber ich weiß, wie man eine Festplatte ausbaut, den Speicher erweitert und seine Daten sichert. Seit Mitte der neunziger Jahre bewege ich mich im Internet in Foren und Chats. Dass Daten überall erhoben, gespeichert und ausgewertet werden, lag trotzdem lange Zeit außerhalb meines Vorstellungsvermögens.

An der Universität wurde es mir zum ersten Mal richtig bewusst. Unsere Immatrikulationsnummer war das A und O, nicht der Name. Suchte ich auf den Aushängen im Schaukasten meines Professors nach meinen Prüfungsergebnissen, fand ich sie nur unter der Nummer. Wollte ich etwas vom Prüfungsamt,
hatte ich mich mit meiner Immatrikulationsnummer vorzustellen. Und so ging das immer weiter. Das soll Datenschutz gewährleisten, doch ist es auch ein ideales Instrument zur Kontrolle. Viele Hochschulen haben es perfektioniert: Mit der Immatrikulation bekommt man eine elektronische Karte wie im Hotel, und wie im Hotel dient sie als Schlüssel für Zimmer, zu denen man Zutritt hat, man kann damit in der Mensa bezahlen, in der Bibliothek Material ausleihen und das Konto für Drucker und Kopierer aufladen.

Je mehr Computer, Chipkarten, Lesegeräte wir in unserer Welt installieren, desto mehr solcher Daten werden überall erzeugt und verarbeitet. Jeder ist irgendwo erfasst, jeder hat inzwischen einen Zwilling, einen Datenschatten von sich selbst – ohne ihn zu kennen. Wer weiß schon, was Behörden, Firmen und Organisationen über ihn wissen? Wer von uns kennt all die Datenbanken, in denen etwas über uns steht?

Meine Neugier trieb mich, eine Expedition zu wagen. Nicht zum Südpol wie Roald Amundsen, der 1911 in die Antarktis aufbrach. Auch nicht zu den Berggorillas in Ruanda wie Dian Fossey. Mein Ziel schien mir überhaupt nicht so fern, und doch war die Suche mühsam, langwierig, manchmal entmutigend.

Dabei musste ich nicht mit detektivischem Spürsinn vorgehen, ich habe nur die demokratischen Möglichkeiten genutzt, die unsere Gesetze bieten. Ich wollte in die Rechenzentren undDatenbanken, wollte Daten von meinem Mobilfunkanbieter und meiner Krankenkasse, von meinem Bürgeramt und meiner Bank. Ich wollte wissen, was die Lufthansa über meine Flüge speichert, die Bahn über meine Zugfahrten, die Kreditkartenfirma über meine Einkäufe. Mich interessierte, was Polizei und Verfassungsschutz über mich sammeln. Ich wollte erfahren: Was macht ihr mit meinen Daten? Welche meiner Daten wer-
den von wem gespeichert, wie werden sie verwendet, wer hat darauf Zugriff, und was kann daraus abgeleitet werden? Ich wollte herausfinden, ob wir schon in einem Überwachungsstaat leben.

Das muss sich nicht anfühlen wie im Nationalsozialismus oder der DDR. Diese Regimes ließen Datenberge anhäufen, um ihre Bürger zu überwachen und sie zu diskreditieren und ihre Persönlichkeit zu zerstören, wenn es ihnen angebracht schien. Es wird am Ende des Buches noch die Rede davon sein, ob solche Vergleiche taugen oder nicht.

Ich habe für dieses Buch viele Menschen getroffen, um mit ihnen über dieses Thema zu sprechen. Ich wollte herausfinden, ob auch sie unsere informationelle Selbstbestimmung in Gefahr sehen. Ich wollte wissen, was wir tun können, um das Grundrecht, selbst entscheiden zu können, wer was über uns weiß, zu verteidigen.

Es sind Menschen, die sich beruflich damit beschäftigen, wie Gus Hosein, Direktor von Privacy International, einer Organisation, die in London sitzt und mit einem Dutzend Mitarbeiter globale Datenschutzfragen bearbeitet. Wie Thomas Drake, ein früherer Mitarbeiter der NSA, der zum Whistleblower wurde.
Oder wie der Politikwissenschaftler Ron Deibert, der in Toronto an der renommierten Munk School of Global Affairs lehrt und dort mit seinem Citizen Lab untersucht, wie Internetüberwachung weltweit, besonders in Ländern wie China, Syrien und Bahrain, stattfindet.

 

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